Wissensbasierte Kalkulationssysteme aufbauen

16.06.2025

Wie ein Industrieunternehmen das Expertenwissen der Lohnbeschichter digitalisierte und seine Angebotslegung automatisierte.

Vom Erfahrungswissen zur skalierbaren Lösung

Ein großes österreichisches Industrieunternehmen, das Produkte für Lohnbeschichter herstellt, stand vor einer vertrauten Herausforderung: Die Angebotskalkulation beruhte auf individuellem Erfahrungswissen – oft nicht dokumentiert, definitiv nicht skalierbar. Neue Mitarbeiter mussten sich mühsam einarbeiten, und die Angebotsqualität hing stark von der Verfügbarkeit einzelner Experten ab.

Anfragen kamen per E-Mail, oft unvollständig oder unstrukturiert. Manuelle Rückfragen kosteten Zeit – und damit Geschäft. Die Frage war: Wie lässt sich dieses Wissen greifbar, nutzbar und automatisierbar machen?

Das Ziel: Wissen formalisieren, Angebote digitalisieren

Gesucht war ein System, das:

  • Expertenwissen systematisch erfassbar macht – unabhängig von Code oder Softwarelogik,

  • individuelle, anpassbare Kalkulationsmasken generiert – abgestimmt auf unterschiedliche Teilegruppen,

  • auch Nicht-Experten im Vertrieb oder Kundenservice ermöglicht, verlässliche Angebote zu erstellen,

  • und die Kommunikation mit Kunden teilweise automatisiert – inklusive Rückfragen, Preisberechnung und Angebotsversand.

Der Weg zur Lösung – in fünf Schritten

1. Expertenwissen in Sprache fassen

Im ersten Schritt entwickelten wir eine domänenspezifische Beschreibungssprache, mit der Lohnbeschichter ihre Kalkulationsregeln in einfacher Textform definieren konnten. Diese „Wissensdateien“ beinhalteten alle Parameter, Formeln und Entscheidungsregeln – maschinenlesbar, aber für Fachleute verständlich.

2. Assistenzsysteme für das Onboarding

Ein interaktiver Fragenkatalog half, neue Kalkulationsmodelle strukturiert zu erfassen – auch ohne technisches Vorwissen. Später ermöglichte eine darauf aufbauende Software, diese Informationen direkt aus Gesprächen oder Anfragen zu extrahieren – ohne manuelle Eingabe.

3. Automatisch generierte Benutzeroberflächen

Aus den Wissensdateien wurden dynamisch User Interfaces generiert, exakt abgestimmt auf die jeweilige Kalkulation. Unterschiedliche Masken für verschiedene Teilegruppen – modular, aber zentral verwaltet.

4. Integration in Geschäftsprozesse

Die eingegebenen Daten wurden automatisch durch die vorher definierte Logik verarbeitet – egal ob über interne Systeme oder ein Web-Plugin. So entstand eine sofortige Preisfindung, ganz ohne Medienbruch.

5. Angebotsautomatisierung mit KI

Eingehende Kunden-E-Mails wurden per KI analysiert, strukturierte Daten extrahiert und fehlende Angaben identifiziert. Das System stellte automatisch Rückfragen, erfasste die Antworten und generierte im Anschluss das vollständige Angebot – inklusive belastbaren Preis.

Ergebnisse, die zählen

Die Umstellung führte zu spürbaren Vorteilen:

  • Deutliche Zeitersparnis: Angebote konnten nun durch Sachbearbeiter erstellt werden und nicht mehr ausschließlich durch Fachkräfte.

  • Schnelle Reaktion: Auf der Website reichte die Eingabe weniger Parameter für ein sofortiges Angebot.

  • Höhere Qualität: Vollständige Daten und automatisierte Rückfragen führten zu präzisen, belastbaren Angeboten.

  • Bessere Skalierbarkeit: Neue Kalkulationsmodelle ließen sich in kurzer Zeit erstellen und ohne den Bedarf von Entwicklerressourcen.

  • Flexibles System: Unterschiedliche Fachbereiche konnten eigene Masken nutzen, bei zentraler Verwaltung des Wissens.

Learnings & Empfehlungen

1. Wissensmodellierung zahlt sich aus.
Was oft als „nur im Kopf vorhanden“ gilt, lässt sich überraschend gut formal strukturieren, sofern man die richtigen Werkzeuge schafft.

2. User-First statt Tech-First.
Die einfache Generierung von Benutzeroberflächen direkt aus dem Fachwissen war ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz – intern wie extern.

3. Automatisierung braucht keine Black Box.
Die deklarative Sprache ermöglichte volle Kontrolle durch den Fachbereich. Unterm Strich also Automatisierung, ohne Transparenzverlust.

4. KI braucht Struktur.
Nur durch klar definierte Wissensbausteine konnte die KI E-Mails zuverlässig interpretieren und Angebote zielgerichtet vorbereiten.

Fazit

Die Einführung eines wissensbasierten Kalkulationssystems zeigte eindrucksvoll, wie Fachlogik, UI-Automatisierung und KI sinnvoll ineinandergreifen können. Für Unternehmen mit komplexem, erfahrungsgetriebenem Wissen ist das ein gangbarer Weg. Weg von E-Mail-Chaos und Bauchgefühl, hin zu Systematik, Skalierbarkeit, Reaktionsgeschwindigkeit und unterm Strich gesteigertem Geschäftserfolg.